Grundlagen I: Strafrechtliche, berufs- und zivilrechtliche Grundlagen der Schweigepflicht, Datenschutz im Bereich des Sozialgesetzbuch (GKV)
Im nachfolgenden Text erhalten Sie Informationen zu folgenden Themen:
berufsrechtliche Grundlage der Schweigepflicht,
zivilrechtliche Grundlage der Schweigepflicht,
Bundesdatenschutzgesetz (BDSG und Landesdatenschutzgesetze), Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)
Strafrechtliche Grundlage der beruflichen Schweigepflicht: § 203 Strafgesetzbuch (StGB)
Durch die Vorschrift erfaßt werden u. a.
Nicht unter die strafrechtlich normierte Schweigepflicht fallen Heilpraktiker*innen und Heilpraktiker*innen beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie. D. h. aber nicht, daß für sie keine Schweigepflicht besteht. Diese ergibt sich als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag (§§ 630 a ff BGB).
Ausführliche Informationen zur Schweigepflicht nach § 203 StGB finden Sie in den Grundlagen II.
Berufsrechtliche Grundlage der Schweigepflicht: Berufsordnungen der Landesärzte- und Landespsychotherapeutenkammern
Ärzt*innen und Psychologische Psychotherapeut*innen sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen ???
Zivilrechtliche Grundlage der Schweigepflicht: § 630 a ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Ärzt*innen,
Psychotherapeut*innen und Heilpraktiker*innen sind (berufsrechtlich) zur
Durchführung von psychotherapeutischen Heilbehandlungen befugt. Grundsätzlich
wird bei jeder Behandlung ein Behandlungsvertrag (gemäß
§§
630a ff BGB ) geschlossen - auch wenn das in aller Regel nicht
schriftlich geschieht. Im Behandlungsvertrag geregelt sind unter anderem:
Die Schweigepflicht ist zwar nicht explizit in den Paragrafen des BGB erwähnt ist jedoch eine sogenannte Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag
Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und Landesdatenschutzgesetze, Datenschutzgrundverordnung
Das BDSG ???
Datenschutz im Sozialgesetzbuch (SGB V) - Bereich der Gesetzlichen Krankenkassen
Das Sozialgeheimnis gemäß § 36 SGB I ist von allen Leistungserbringern zu beachten. Allgemeine Regelungen zum Umgang mit bzw. Schutz der Sozialdaten finden sich in SGB X (§§ 67 ff). Für den Bereich der Krankenversicherung sind zudem die Bestimmungen des SGB V zu beachten.
Die Weitergabe von Daten an den Gutachter*innen (Formular PTV 2b, PTV 3/Kinder und Jugendliche, Bericht an Gutachter*in) ist schweigepflicht- bzw. datenschutzrechtlich unproblematisch, da sie anonymisiert bzw. pseudonymisiert (Anfangsbuchstabe des Nachnamens und Geburtsdatum: X 00 00 00) erfolgt [1].
Die Abrechnung von psychotherapeutischen Leistungen ist nur möglich, wenn die Leistungserbringer*innen (Psychotherapeut*innen) eine gesicherte Diagnose gestellt haben. Diese Regelung ist hinsichtlich der Schweigepflicht nicht zu beanstanden. Die Abrechnungsdaten erhalten (im ambulanten Bereich) die Kassenärztlichen Vereinigungen, die dann die Daten an die jeweiligen Krankenkassen weiterleiten.
Angesichts der mit den symptomatologischen ICD-10-Diagnosen einhergehenden Wertungen und den tief in die Intimsphäre der Patient*innen eingreifenden Informationen hat die DGPT (Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie) über Jahre hinweg zu einem vorsichtigen Umgang mit der Weitergabe von Diagnosen geraten. Inzwischen hat sich aber doch zunehmend die Ansicht durchgesetzt, daß die psychoanalytisch begründeten Verfahren nur dann ihre Bedeutung in der Versorgung untermauern können, wenn auch die zutreffenden (alle) Diagnosen realitätsgerecht abgebildet werden.
Die in den Psychotherapie-Vereinbarungen vorgesehene Informationspflicht der Therapeut*innen gegenüber den Gesetzlichen Krankenkassen (§ 10 der Psychotherapie-Vereinbarungen) - hier: Beendigung einer Psychotherapie - bedarf keiner Entbindung von der Schweigepflicht. Die Mitteilung erfolgt über eine entsprechende Ziffer in der Abrechnung, weitere Informationen (z. B. über den Grund der Beendigung) können und dürfen nicht weitergegeben werden.
Anmerkungen: Erlischt die Leistungspflicht des Versicherten, ist die KK verpflichtet, dies der Therapeutin unverzüglich anzuzeigen! Siehe § 13 Abs. 6 der Psychotherapie-Vereinbarungen.
Schweigepflicht unter Vertragsbehandler*innen
Soweit Hausärzt*innen patientenbezogene Informationen bei Kolleg*innen (Fachärzt*innen, Psychotherapeut*innen oder sonstige Leistungserbringer) einholen ist hierzu die schriftliche Einwilligung der Betroffenen notwendig. Umgekehrt ist die schriftliche Einwilligung auch erforderlich, wenn patientenbezogene Informationen bei den jeweils behandelnden Hausärzt*innen eingeholt werden (§ 73 Abs. 1b SGB V).
Die Schriftform ist im Bereich des SGB schon immer in § 67 b Absatz 2 SGB X vorgesehen: "Wird die Einwilligung bei dem Betroffenen eingeholt, ist er auf den Zweck der Speicherung und einer vorgesehenen Übermittlung sowie auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung hinzuweisen. Die Einwilligung und der Hinweis bedürfen [anders als bei § 203 StGB!] der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist" (analog § 100 Abs. 1, Satz 2 SGB X). Bei den an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Psychotherapeut*innen ist insofern das schriftliche Einverständnis bei der Offenbarung patientenbezogener Informationen gegenüber der behandelnden Hausärztin gemäß § 73 Abs. 1b SGB V obligat.
Die eigentliche Problematik des § 73 Abs. 1b SGB V besteht allerdings in der Verpflichtung der Leistungserbringer (also auch Psychotherapeut*innen) die Versicherten nach der/dem jeweils behandelnden Hausärztin/-arzt zu fragen und soweit eine schriftliche Einwilligung der Patient*innen vorliegt die Behandlungsinformationen der/dem Hausärztin/-arzt zu übermitteln. Die Verpflichtung bezieht sich immer 'nur' auf für die Behandlung erforderlichen Daten und Befunde (Diagnose/n, Behandlungsdauer, -verfahren etc.), nicht jedoch auf Berichte, Anträge und ähnliche Unterlagen. Zum Schutz der Patient*innen und Therapeut*innen sollte bei der Offenbarung bzw. Weitergabe dieser Daten und Informationen möglichst zurückhaltend umgegangen werden. Die Verpflichtung besteht aber – wie erwähnt – nur für den Fall, daß die/der Patient*in mit der Übermittlung einverstanden ist.
Soweit eine Einwilligung vorliegt ist der Bericht auch Voraussetzung für die Abrechnung vieler Psychotherapieleistungen (dazu unten me hr)! Für Gebührenordnungspositionen des Abschnittes 35.2 ist die Berichtspflicht erfüllt, wenn zu Beginn und nach Beendigung einer Psychotherapie, mindestens jedoch einmal im Krankheitsfall (4 Quartale) bei Therapien, die länger als ein Jahr dauern, ein Bericht an die/den Hausärztin/-arzt erstellt und versendet wird (Gebührenordnungspositionen 01600 bzw. 01601).
Auch nach § 24 Abs. 6 Satz 3 Bundesmantelvertrag - Ärzte (BMV-Ä) sind Fächärzt*innen und Psychotherapeut*innen verpflichtet mit Einverständnis der Versicherten die relevanten medizinischen Daten an die/den benannte/n Hausärztin/-arzt zu übermitteln.
Im Rahmen der Beantragung einer Psychotherapie haben Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichentherapeut*innen die Patient*innen spätestens nach Beendigung der probatorischen Sitzungen und vor Beginn der Psychotherapie an eine/n Konsiliarärztin/arzt zu überweisen (Psychotherapie-Richtlinie F § 32). Auf der Überweisung (das entsprechende Formular ist unter den Psychotherapeut*innen kaum bekannt und wird nahezu überhaupt nicht benutzt) haben sie den Konsiliarärzt*innen eine kurze Information über die erhobenen Befunde und die Indikation zukommen zu lassen. Eine weitergehende Berichtspflicht besteht nicht.
Die Abrechnung bestimmter Ziffern des EBM setzt die Erstellung eines Berichtes voraus (Leistungsinhalt). Für die EBM-Kapitel 22 (Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin), 23 (ärztliche und psychologische Psychotherapeut*innen sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen) und 35 (Leistungen im Rahmen der Psychotherapie-Richtlinien) ist ein Bericht nicht vorgesehen. Die grundsätzliche Datenübermittlungs- bzw. 'Berichtspflicht' bleibt davon unberührt, kann also gleichwohl (siehe oben) bestehen.
Schweigepflicht in Praxisgemeinschaften und Gemeinschaftspraxen
Praxisgemeinschaften stellen Organisationsgemeinschaften unter Ärzt*innen bzw. Psychotherapeut*innen im Hinblick auf die gemeinsame Nutzung von Räumen, Sachmitteln (z.B. PC-Netzwerk) und Personal dar. Personenbezogene Daten von Patient*innen sind strikt von einander zu trennen, so daß ein Zugriff auf Datenbestände durch Kolleg*innen nicht möglich ist. Dies gilt nach Ansicht der KVB nicht für Gemeinschaftspraxen, deren Zweck die gemeinschaftliche Behandlung von Patient*innen ist: "Wer sich einem bestimmten Arzt in einer Gemeinschaftspraxis anvertraut, muß davon ausgehen, daß der andere Arzt/die andere Ärztin in der Gemeinschaftspraxis seine persönlichen medizinischen Daten erfahren. Nachdem in der Regel von einer gegenseitigen Vertretung und Beratung der Praxispartner auszugehen ist, darf eine »mutmaßliche Einwilligung« des Patienten unterstellt werden." Diese Rechtsauffassung ist m. E. falsch. Es erscheint schon fraglich, ob überhaupt eine stillschweigende Einwilligung vorliegt, wenn der Patient nicht über die Bedeutung des Begriffes 'Gemeinschaftspraxis' und die entsprechenden Konsequenzen für den Umgang mit seinen Daten informiert ist. Eine mutmaßliche Einwilligung kann wohl auch schon deshalb kaum unterstellt werden, weil die Patient*innen gefragt werden können (siehe oben). Auch Richter-Reichhelm, heute KBV-Vorsitzender und Vorsitzender der KV Berlin, vertrat im Januar 1999 – damals Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Berlins – die Ansicht, ein Zugriff auf Patientendaten anderer Ärzt*innen der Gemeinschaftspraxis erst erfolgen darf, "(...) wenn der Patient durch ausdrückliche Erklärung oder sein Verhalten zum Ausdruck bringt, daß er mit einer gemeinsamen Behandlung einverstanden ist" (Richter-Reichhelm 1999).
Die noch vereinzelt vertretene Ansicht, bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen bestehe keine Schweigepflicht gegenüber Eltern bzw. gesetzlichen Vertreter*innen oder Schweigepflichtentbindungen gegenüber Dritten könnten nur von den Eltern erteilt werden (z.B. Berns 1998, S. 412) ist insoweit unzutreffend, als sie pauschal für Minderjährige formuliert wird. Zwar besteht eine aus dem Erziehungsrecht der Eltern (vgl. Art 6 Grundgesetz, §§ 1626, 1631 Bürgerliches Gesetzbuch) abgeleitete Offenbarungspflicht der schweigepflichtigen Personen im Hinblick auf die ihnen von Minderjährigen anvertrauten Informationen, diese ist jedoch durch das Selbstbestimmungsrecht des Kindes – welches ab dem 14. Lebensjahr einsetzt – begrenzt (vgl. Pulverich 1996, S. 273; BverfG 1982, S. 387 ff). Da die hierfür notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit in diesem Alter in der Regel vorliegt, ist die Weitergabe von Informationen und Geheimnissen an Eltern oder dritte Personen nur mit ihrer ausdrücklichen oder konkludenten Einwilligung zulässig. Der verfassungsrechtlich geschützte Informationsanspruch der Eltern (abgeleitet aus Art. 6 Abs. 2 Satz 12 Grundgesetz) tritt hier mit der zunehmenden Fähigkeit des Kindes über die es betreffenden Angelegenheiten selbständig zu bestimmen zurück. In Ausnahmefällen wird man dies auch für jüngere Kinder annehmen können, wenn durch die Information der Eltern oder eines Elternteils das Kindeswohl gefährdet ist. Dann "(...) kann es im Interesse des Kindes geboten sein, daß der Berater auch den Eltern gegenüber schweigt, um den Heilerfolg nicht zu gefährden und das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Kinde nicht in Frage zu stellen" (BverfG 1982, S. 384) [2]. Wie grundlegend die Frage der Einwilligungsfähigkeit ist, macht ein (juristischer) Aufsatz aus dem Jahr 1999 deutlich (Rothärmel et al. 1999), der die Benachteiligung Minderjähriger durch das Informed-Consent-Konzept und die daraus resultierende Mißachtung ihres Persönlichkeitsschutzes problematisiert.
Im Sozialgesetzbuch können Minderjährige rechtserhebliche Erklärungen abgeben, soweit sie über die notwendige Einsichts- und Urteilfähigkeit verfügen (siehe oben), spätestens jedoch, wenn sie das 15. Lebensjahr vollendet haben (§§ 36 Abs. 1 i. V. m. 33a SGB 1; Gerlach 2004 b, S. 328).
Schweigepflicht im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses
Im Unterschied zur Tätigkeit als niedergelassene/r Psychotherapeut*in stellen sich Fragen der Schweigepflicht bei einer Tätigkeit im Angestelltenverhältnis etwas anders dar. So ist zu klären, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Offenbarungspflicht bzw. -befugnis gegenüber Vorgesetzten, Kolleg*innen und weiteren Personen der Institution (z.B. Verwaltungsmitarbeiter*innen) besteht. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf einen Übersichtsartikel von Julia Rendschmidt (Rechtsanwältin, Psychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz), der im Psychotherapeutenjournal 3/2007: 255-257 erschienen ist: Die Schweigepflicht des PP/KJP im Angestelltenverhältnis.
Hinweis: Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns hat eine Seite unter dem Titel "Datenschutz in der Praxis" eingerichtet. Über diesen Link erreichen sie die Seite: www.kvb.de
1 Noch immer muß (wegen entsprechender Erfahrungen und Aussagen der Gutachter*innen) darauf hingewiesen werden, daß auch auf beigelegten Befundberichten, Namen und Anschrift der Patient*innen (ggf. auch weitere Einzelheiten, wenn diese geeignet sind die Anonymität aufzuheben) unkenntlich gemacht werden müssen. Dabei reicht die Schwärzung mit Filzstift auf dem Original nicht aus, da der ursprüngliche Text ohne Probleme entziffert werden kann; das Kopieren des geschwärzten Originals löst das Problem.
2 Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezog sich auf die zur Verschwiegenheit verpflichteten Schülerberater nach dem Bremischen Schulverwaltungsgesetz v. 24. 07.78 (i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Bremischen Schulverwaltungsgesetzes v. 18.06.79); es läßt sich in diesem Punkt ohne Einschränkungen auf die Tätigkeit von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen übertragen.
Schweigepflicht, Datenschutz und Diskretion I Dr. Jürgen Thorwart |