Grundlagen II: Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Datenschutz und Schweigepflicht und berufliche Schweigepflicht im Strafrecht (§ 203 StGB)

Im nachfolgenden Text erhalten Sie Informationen über

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausdruck des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung zum Volkszählungsgesetz (1983) das Recht auf informationelle Selbstbestimmung postuliert, welches "(...) die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen" (BVerfG 1983, S. 1) gewährleistet. Es hat auf diese Weise die verfassungsrechtliche Dimension datenschutzrechtlicher Fragen neu bestimmt. Einschränkungen des aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleiteten Rechtes sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse auf verfassungsgemäßer gesetzlicher Grundlage zulässig, welche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt und das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit seinem Wesen unangetastet läßt. Schließlich ist der Grundsatz der Zweckbindung der Daten zu berücksichtigen. Den vollständigen Text des wegweisenden Urteils finden Sie auf der Seite Urteile (Link in der Zeile "15.12.1983")

Schweigepflicht & Datenschutz: Systematik

Eine Vielzahl von Gesetzen und Bestimmungen regeln den Umgang mit personenbezogenen Daten. Die nachfolgende Systematik soll einen Überblick über die wichtigsten Regelungsbereiche ermöglichen. Zu unterscheiden sind zunächst auf der Gesetzesebene der

Daneben bestehen zahlreiche weitere Regelungen, so beispielsweise: Hippokratischer Eid (Ärzt*innen), Berufsordnungen (Landesärztekammern, Landespsychotherapeutenkammern) ethische Leitlinien (psychotherapeutische Berufs- und Fachverbände), Nebenpflichten aus Behandlungsvertrag (Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Heilpraktiker*innen).

Die strafrechtlich sanktionierte Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 Strafgesetzbuch/StGB) stellt die für Psychotherapeut*nnen (aber auch Ärzt*innen, Psycholog*innen, Sozialpädagog*innen) strengste Regelung dar. Eine Offenbarung der von Patient*innen anvertrauten Geheimnisse ist hier nur zulässig, wenn entweder eine Einwilligung der Betroffenen, oder ein gesetzlich normierter Rechtfertigungsgrund vorliegt. Solche Rechtfertigungsgründe ergeben sich im Bereich der kassenärztlichen Psychotherapie beispielsweise aus dem Sozialgesetzbuch (SGB V). So ist die Weitergabe der Stammdaten, Diagnosen und Leistungen zur Abrechnung an die Kassenärztlichen Vereinigungen und/oder Gesetzlichen Krankenkassen zulässig (hier bedarf es auch keiner Einwilligung der betroffenen Patient*innen.

Die berufliche Schweigepflicht gemäß § 203 StGB

§ 203 Abs. 1 (Hervorhebungen/Kursivschrift vom Autor)

Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als

  1.  Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,

  2.  Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlußprüfung,

  3.  Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar (...), Steuerberater (...),

  4.  Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist,

  4a. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,

  5.  staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen oder

  6.  Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen Verrechnungsstelle

anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Erläuterung der fett/kursiv gedruckten Tatbestandsmerkmale:

Unter dem Schutz des Gesetze stehen fremde Geheimnisse, also alle Tatsachen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind, einschließlich der Tatsache, daß Patient*innen eine/n Psychotherapeutin/en aufsuchen. Kein Geheimnisse sind beispielsweise gegenwärtig in der Öffentlichkeit diskutierte Angelegenheiten bestimmter Person oder die im Verlauf einer öffentlichen Gerichtsverhandlung bekanntgewordenen personenbezogenen Tatsachen. Die Verfügungsgewalt über Geheimnisse, die nicht Patient*innen selbst sondern Dritte betreffen (z.B. die Tatsache des Alkoholabusus des Ehegatten) liegt alleine bei den Betroffenen – der Patient kann hier weder eine Schweigepflicht fordern, noch eine Entbindung von dieser erteilen. Jedoch ist die Tatsache der Mitteilung der Information durch Patient*innen geschützt, so daß im Ergebnis auch diese Geheimnisse vertraulich behandelt werden müssen.

Offenbart ist das Geheimnis, wenn es einer anderen Person zugänglich gemacht wird (mündlich, schriftlich, durch Einsichtnahme etc.). Auch die Weitergabe von Geheimnissen unter Kolleg*innen (z.B. Ärzt*innen, Psycholog*innen einer Institution) gilt grundsätzlich als Offenbarung.

Das Geheimnis muß in der Eigenschaft als Arzt, Psychologe, Sozialpädagoge etc. anvertraut worden sein. Entscheidend ist, daß der Patient*innen sich an den Schweigepflichtigen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer dieser Berufsgruppen wenden. Dies ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn Psycholog*innen im Rahmen einer privaten Geburtstagsfestes Geheimnisse Dritter anvertraut werden. Umgekehrt auch solche Geheimnisse geschützt, die Patien*innen bei Gelegenheiten außerhalb der Therapie (z.B. Treffen beim Einkaufen) anvertraut.

Entscheidend für die Frage, ob eine Verletzung der Schweigepflicht vorliegt ist in aller Regel das Tatbestandsmerkmal 'unbefugt' . Die Offenbarung erfolgt unbefugt, wenn weder das Einverständnis der Betroffenen vorliegt noch ein Rechtfertigungsgrund.

Das Einverständnis kann ausdrücklich (z.B. Einverständnis per Unterschrift auf Formblatt PTV 1/Antrag des Versicherten: Offenbarung notwendiger Daten gegenüber Krankenkasse und Gutachter*in) oder stillschweigend (konkludent) erfolgen. Ein konkludentes Einverständnis zur Weitergabe patientenbezogener Daten kann beispielsweise angenommen werden, wenn sich Patient*innen mit der Beantragung einer PT bei ihrer Privatversicherung (häufig nichtanonymisiertes Antragsverfahren) einverstanden erklären; das Einverständnis bezieht sich jedoch nur auf die zur Antragstellung bzw. Stellungnahme notwendigen Angaben. Welche Angaben als notwendig zu betrachten sind hängt vom Antragsverfahren (z.B. Fragebogen) der jeweiligen Kasse ab und wird wohl nicht über den Umfang des üblichen Fragenkatalogs im Rahmen der Psychotherapierichtlinien hinausgehen können. Die Schriftform ist für die Wirksamkeit des Einverständnisses nicht erforderlich – sie kann jedoch (so etwa die Haltung der DGPT - Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e.V.) aus Beweisgründen und zum Schutz der Therapeut*innen sinnvoll sein.

Nachfolgend sind die wichtigsten Rechtfertigungsgründe, insbesondere die für den Bereich Psychotherapie relevanten Gründe aufgelistet. Wichtig ist die Unterscheidung einer (zwingenden) Offenbarungspflicht im Unterschied zur Befugnis der Offenbarung bei Vorliegen besonderer Umstände.

a) mutmaßliche Einwilligung

Eine mutmaßliche Einwilligung zur Offenbarung kann unterstellt werden, wenn diese im (mutmaßlichen) Interesse der Betroffenen liegt, dieser aber nicht gefragt werden kann, so beispielsweise im Fall der Information der Angehörigen einer/s bewußtlosen Patientin/en.

b) Offenbarungspflicht aufgrund besonderer Gesetze:

c) Offenbarungsbefugnis aufgrund gesetzlicher Bestimmungen (SGB V)

d) Offenbarungsbefugnis im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB:

Die Berufung auf den rechtfertigenden Notstand erfolgt bei Angehörigen psychosozialer Berufsgruppen ohne Kenntnis des zugegebenermaßen nicht leicht zu verstehenden Gesetzestextes, der nachfolgend wiedergegeben wird. Im Anschluß folgen Beispiele zur Frage, inwieweit im Einzelfall eine Offenbarungsbefugnis auf der Grundlage eines rechtfertigenden Notstands gegeben ist.

§ 34 StGB (Hervorhebungen/Kursivschrift vom Autor)

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

Nachfolgend werden praktische Fallkonstellationen im Hinblick auf das Vorliegen bzw. Fehlen einer Befugnis zur Offenbarung aufgeführt:

 

Sachverhalt

Befugnis zur Offenbarung

Offenbarung zur Abwendung von Gefahren für Leib und Leben

Warnung von Angehörigen oder Kontaktpersonen vor einer von dem Patienten ausgehenden Ansteckungsgefahr, wenn nicht die Gewähr besteht, daß diese selbst für die notwendige Aufklärung sorgt [31]

ja,

(soweit die gefährdete Person in Behandlung bei derselben Ärztin ist, besteht eine Aufklärungspflicht)

Mitteilung einer Geisteskrankheit zum Zweck einer erforderlichen Anstaltsunterbringung nach dem Unterbringungsgesetz [31]

ja

Benachrichtigung der zuständigen Verwaltungsbehörde über schwere geistige und körperliche Mängel eines autofahrenden Patienten als letztes Mittel zur Abwendung erheblicher Gefahren für die Verkehrssicherheit [31]

ja

Mitteilung eines lebensgefährlichen Zustands an Angehörige zur Rettung eines voll einsichts- und urteilsfähigen Patienten

(*) Die Entscheidung ist hier ebenso zu respektieren, wie bei der Verweigerung einer ärztlichen Behandlung – anders bei Unreifen und psychisch Gestörten oder Suizidgefahr) [31]

nein (*)

Offenbarung der Geisteskrankheit des verstorbenen Erblassers, der seine Familie enterbt hat [31]

ja

Geheimnisoffenbarung, die dem Schutz eines Unschuldigen vor strafrechtlicher Verfolgung dient

ja

Mitteilung einer bevorstehenden, gemäß § 138 StGB nicht anzeigepflichtigen Straftat [31]:

  •   Straftaten nach § 139 Abs. 3 Satz 2 StGB

  •   sonstige Straftaten (nicht in § 138 StGB aufgeführt)

ja (nach erfolglosem Versuch, den Täter von der Tat abzuhalten)

Befugnis kann gegeben sein, wen die Straftat von einiger Erheblichkeit ist und im Einzellfall die Voraussetzungen des § 34 StGB gegeben sind; evt. milderes Mittel als Anzeige: Warnung des Bedrohten

Mitteilungen im Rahmen des Strafverfolgungsinteresses [32]

nein

(Ausnahme bei besonders schweren, mit einer nachhaltigen Störung des Rechtsfriedens verbundenen Verbrechen; z.B. terroristische Gewaltakte oder bei Wiederholungsgefahr erheblicher Straftaten; beruht die Kenntnis darauf, daß der Patient selbst der Täter ist, besteht die Offenbarungsbefugnis nur bei hochgradiger Gefährlichkeit für die Zukunft und auch dies nicht, wenn sich der Patient wegen dieser Tat an einen Arzt/Psychotherapeuten - etwa zur Behandlung einer die Gefährlichkeit begründenden Triebanomalie - gewandt hat)

Mitteilung zum Zweck der Abwendung der Gefahr einer unbegründeten strafrechtlichen Verfolgung des Schweigepflichtigen [33]

ja

Mitteilung zum Zweck der Abwendung der Gefahr einer unberechtigten Zivilklage [33]

ja

Mitteilung zum Zweck der Abwendung der Beeinträchtigung des beruflichen Ansehens des Schweigepflichtigen durch unwahre Behauptungen [33]

ja

Offenbarung von Geheimnissen zur schlüssigen Begründung einer Klage bei der gerichtlichen Geltendmachung einer Honorarforderung [33]

Beauftragung eines Rechtsanwalts [33]

ja

 

ja

Quelle: Lenckner in Schönke & Schröder 2006, § 203 RN 31-33 [Angabe der jeweiligen Randnummer]

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Schweigepflicht, Datenschutz und Diskretion I Dr. Jürgen Thorwart

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